Berlin/München, 5. Oktober 2018 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) legt beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen die Ausweitung polizeilicher Befugnisse im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz (BayPAG) ein. Unter den zehn Beschwerdeführer*innen sind neben mehreren Rechtsanwält*innen viele Menschen aus der Zivilgesellschaft. „Das neue Polizeiaufgabengesetz ist deshalb problematisch, weil die Polizei nun schon bei einer nur drohenden Gefahr eingreifen kann. Das kann sie praktisch immer begründen, denn es gibt keine klaren Kriterien für eine ‚drohende‘ Gefahr“, sagte der GFF-Vorsitzende Dr. Ulf Buermeyer am Freitag in München. Wegen des weiten Gefahrenbegriffs sind praktisch alle Menschen, die sich regelmäßig in Bayern aufhalten, potentiell von den neuen Eingriffsbefugnissen betroffen.
Der Freiburger Privatdozent Dr. Mathias Hong und der Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler werden die Beschwerde am 6. Oktober 2018 in Karlsruhe im Auftrag der GFF und des Bündnisses „NoPAG“ einreichen. Das Verfahren wird durch die Bürgerbewegung Campact unterstützt.
Die Beschwerdeschrift richtet sich gegen die am 25. Mai 2018 in Kraft getretene Änderung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, das der Polizei nun sowohl eine Vielzahl an neuen Eingriffsmaßnahmen als auch generell größere Entscheidungsfreiheit einräumt. „Das bayerische Polizeiaufgabengesetz wird zu Recht als das härteste Polizeigesetz seit 1945 bezeichnet “, so Buermeyer weiter. „Es enthält nicht nur hochproblematische Einzelmaßnahmen, wie den Einsatz von Explosivmitteln zur Gefahrenabwehr oder von Staatstrojanern zu Überwachungszwecken, sondern verstößt auch gegen zentrale rechtsstaatliche Grundsätze.“
Die neue Eingriffsschwelle der „drohenden Gefahr“ führt dazu, dass die Polizei präventiv eine Vielzahl an Maßnahmen gegen Personen ergreifen kann, selbst wenn keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von diesen Personen überhaupt irgendetwas droht. So kann sie Menschen außerhalb ihrer Wohnungen durch V-Leute oder Drohnen überwachen lassen, Bildaufnahmen anfertigen und sich Zugriff auf technische Geräte wie Handys und Computer verschaffen. Damit greift sie tief in die Privatsphäre der Betroffenen ein, die sich gegen die Eingriffe kaum wehren können, da sie ohne ihr Wissen erfolgen. „Durch das neue Polizeiaufgabengesetz kann die Polizei wie ein Nachrichtendienst agieren“, sagte Frederick Heussner, Vertreter des NoPAG-Bündnisses.
Die Beschwerdeführer*innen kommen aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft und sind teilweise – so im Falle einer Journalistin und mehrerer Rechtsanwält*innen – auch in ihrer Berufsausübung von den neuen Befugnissen betroffen. Die Änderungen der BayPAG-Novelle reichen so weit, dass praktisch jede*r Opfer der neuen Polizeibefugnisse werden kann, weil niemand ausschließen kann, wissentlich oder unwissentlich in Berührung mit Personen oder Umständen zu gelangen, die der Polizei Anhaltspunkte für eine „drohende Gefahr“ bieten.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich auch gegen die erweiterten Möglichkeiten zum Einsatz von Explosivmitteln wie Handgranaten oder Panzerfäusten. Das Gesetz erlaubt den Explosivmitteleinsatz auch dann, wenn dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit Unbeteiligte ums Leben kommen – wenn es nur dazu dient, einen bewaffneten Angriff zu stoppen, der anders nicht abzuwenden ist. „Der Gesetzgeber erlaubt damit der Polizei, die Leben Unbeteiligter zu opfern, um andere Unbeteiligte zu retten“, kritisierte Buermeyer. „Einer solchen Abwägung von Menschenleben hat das Bundesverfassungsgericht jedoch in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz bereits eine klare Absage erteilt.“